Aufruf zum Bildungsgang – Simon Hoffmann

Um was geht es in der Schule? Eigentlich doch um die Schüler oder? Doch leider widerspricht die Realität der Theorie. Wagt man heute einen Blick in die Klassenzimmer, so wird man viele motivationslose Schüler und genervte Lehrer finden, die die Zeit miteinander totschlagen, um die Reise bis zu den Prüfungen zu überstehen. Und weil diese Prüfungen am Ende warten, versucht man mit allen Mitteln, Druck und straffen Zeitplänen, den Jugendlichen möglichst viel Stoff zu vermitteln, damit sie… Ja, damit sie was?

Damit sie eine Prüfung gemeistert haben, die bezeugen soll, dass sie etwas können? Doch was können diese Schüler? Auswendig lernen und vorgekautes Wissen ausspucken? Sie sind gut darin, sich zu verstellen und es anderen recht zu machen. Sie sind gut darin, vor einem Problem zu stehen und dann die Lösung zu finden, die von den Lehrern erwartet wird. Sie funktionieren und identifizieren sich nicht mit dem was sie tun, da es fremdbestimmt wird. Jemand möchte etwas von ihnen. Kann so ein nachhaltiger Lernprozess entstehen? Können diese Schüler kritisch argumentieren, können sie Dinge hinterfragen, selbst denken und ihre Gedanken in Taten umsetzen? Ein jeder Mensch kommt neugierig auf die Welt und ist dies sein Leben lang. Doch die heutige Schule macht das meiste davon zunichte. Weil sie einen Rahmen schafft, in dem es plötzlich nicht mehr cool ist zu lernen, in dem Lernen unattraktiv wird. Sieht man sich unser Schulmodell an, so sind die Schüler die passiven, die mit denen etwas passiert, denen man etwas beibringt. Lernen ist aber leider aktiv. Der Schule fehlt die Freiheit. Man stelle sich einen Raum vor, in dem die Schüler entdecken können. In dem sie ihre Fragen finden, stellen und diesen dann nachgehen können. Es macht doch einen Unterschied, ob man eine Antwort auf eine Frage, die man selbst hatte bekommt oder ob sie einfach ohne Nachfrage kommt. In welcher Situation können wir uns diese Antwort besser merken? Die heutige Schule gibt diese Fragen vor, denn sie gibt keine Zeit zum selbst herausfinden. Deswegen interessiert es die Schüler nicht und sie werden sich die Antworten nur durch den Intellekt merken können.

Aber begreifen, ergründen und verstehen werden sie sie kaum, da sie nicht vorher eine Frage danach hatten. Man stelle sich eine Welt vor, in der die Kinder auf die Erwachsenen zukommen und fragen, was sie nicht verstehen und doch wissen wollen, wie sie das mit den Eltern eigentlich ständig machen. Warum funktioniert das in der Schule nicht? Weil die Schule ein Ziel hat. Die Prüfung. Sie unterbindet jedes freies Lernen, das auf Eigeninitiative beruht. Weil es angeblich nicht zielführend ist. Aber hat das Leben, das erwachsen werden ein Ziel? Es ist doch alles Entwicklung und strebt weiter. Jedes Kind will lernen, will lesen und schreiben können, weil es teilhaben will an unserer Welt und weil es verstehen möchte. Das ist ein natürlicher Prozess. Aber der ist, wie wir alle sind, bei jedem anders und zu einem anderen Zeitpunkt. Warum überlässt man die Schule nicht den Schülern? Warum schafft man keine Lernfelder, in denen Schüler voneinander lernen, in denen sie gemeinsam Projekte entwerfen, in die sich jeder einbringen und dabei spielend lernen können? Warum schafft man keine Projekte mit Schulen aus anderen Ländern, durch die man spielend andere Sprachen lernt und in Austausch miteinander geht? Warum fragt man die Schüler nicht, was sie wollen? Wem nützen Menschen, die es allen Recht machen können, nur ihnen selbst nicht? Warum beschäftigt man Jugendliche in der Zeit, in der sie eigentlich herausfinden sollten, was sie antreibt und glücklich macht, was sie der Welt geben möchten, mit Prüfungen und mit fremdgesteuertem Wissen? Mit dem sie anschließend nur bedingt etwas anfangen können.

Neben einem Kontrollsystem das Konsumenten schafft, sind die Eltern das Problem. Sie wollen nur das Beste für ihre Kinder, was verständlich ist. Doch leider haben wir mit unserem Schulsystem klare Gesellschaftsschichten und Privilegien geschaffen, die durch die Prüfungen erhalten werden. Dadurch, dass man seine „Studienzulassung“ am Ende der Schulzeit und nicht am Anfang seines Studiums bekommt, leiden jährlich Millionen von Kindern unter Prüfungsdruck, der sich schon während der ganzen Schulzeit langsam aufbaut. Die Eltern wollen, dass ihre Kinder die besten Chancen haben und spielen mit. Würde man den Hochschulen, Universitäten und Ausbildungsstätten die Macht darüber geben, wer bei Ihnen in die Ausbildung darf und wer nicht, wäre die Schulzeit und die Kindheit von all unseren Kindern freier und bildender. Die Professoren könnten sich durch eine Fachprüfung aus einer Vielzahl von Bewerbern die Besten für ihre Fachrichtung heraussuchen, ohne sich nur auf Zahlen und scheinbares Können verlassen zu müssen. Wir hätten tatsächliche Chancengleichheit, weil man auch nach nur 10 Jahren Schule studieren gehen könnte. Es würde sich keine scheinbare Elite bilden, die als einzige alle Möglichkeiten hat. Der Sinn der Schule wäre plötzlich: jeden einzelnen in seinen persönlichen, individuellen Zielen zu fördern und ihm, das für ihn Wichtigste mit auf den Weg zu geben. Man würde Zeit bekommen um herauszufinden, was man selbst gut und gerne macht und könnte sich auf ein Studium oder eine Ausbildung darin vorbereiten. Die Lehrer wären dann dafür da, um den Schülern beim Erreichen von ihren Zielen zu helfen und sie würden das gerne tun, denn die Schüler würden ihren eigenen Antrieb mitbringen. Eine schöne Welt nicht? Eine schöne Kindheit und Jugend müsste das sein.

Fragt man Politiker, Nörgler, Philosophen oder Geschäftsleute, wie wir die Welt besser gestalten könnten, so kommt als Handlungsanweisung stets nur, in die Bildung zu investieren. Das ist schön, bringt aber nichts, wenn die, in die investiert werden soll, damit nichts anfangen können. Das ist leider wie es heute gehandhabt wird ökonomisch nicht sinnvoll und nur rein verpuffte Ressource. Würde man die Schule wie ein Unternehmen bewerten und prüfen, wie viel Energie und Gelder sie kostet und welche „Qualität“ dabei heraus kommt, dann wäre sie das mit dem schlechtesten Geschäftsmodell der Welt. Was wir brauchen ist, dass man die Bildung selbst in die Hand nehmen kann. Das vermittelt wird, warum es Sinn macht, sich für seine eigenen Interessen einzusetzen und ihnen nachzugehen. Es geht letztendlich darum, sich selbst zu bilden. Das man als Schüler die Ressourcen und das Wissen der Lehrer nutzt, sie abzufragen mit Fragen, die tatsächlich von Interesse sind. So bleiben auch die Lehrer immer gefordert und müssen nicht jahrelang den selben Stoff predigen, sondern werden vor neue Herausforderungen gestellt, an denen sie selbst wiederum lernen können. Die Schule muss das nur möglich machen und unterstützen. Nach der Schule zählt nur das, was man sich selbst als Fähigkeiten erworben und angelernt hat und das war nur das, was einem selbst sinnvoll vorkam. Man kann jedes Fach so gestalten, dass ein jeder einen Zugang dazu und es für sich auf eine bestimmte Weise sinnvoll findet. Das braucht aber Freiheit und Zeit. Genau darum geht es. Um einen Gang an der frischen Luft für Bildung.

Der Bildungsgang

 

Plötzlich war er da, der 11.11.2017.

Am Samstag um 13 Uhr sah es vor dem Kultusministerium in Stuttgart aus wie in einem Ameisenhaufen. Nur bunter.
Das regnerische Wetter motivierte uns noch mehr, ein Zeichen gegen die Tristesse des deutschen Schulsystems zu setzen. Wir nahmen uns die Kinder unter den Demoteilnehmer zum Vorbild, im Regen zu tanzen – außerdem hatten wir Bildungsgang-Regenschirme und Ponchos für den Regen.
Während nach und nach immer mehr Menschen kamen, war einiges los:
Mit Abschlussnoten auf der Stirn konnte man fühlen, wie es ist, auf eine Zahl reduziert zu werden. Wer seine Abschlussnote nicht preiß geben wollte, bekam seine Wunschnote auf die Stirn geschrieben. Spannend war, dass sich niemand eine eins gewünscht hat! Wer keinen Schulabschluss hat, erhielt ein „L“ für Looser. Für uns ist klar: Zahlen und Symbole machen keine Menschen! Die Freilerner bekamen Sonnen auf die Stirn… So hatten wir im Regen viele Sonnen unter uns. Wir wünschen uns, dass Schule ein Ort wird, an dem für jeden die Sonne scheint.

Als die Black Pearl, unser großes Bildungsschiff ankam, verbreitete sich Aufbruchstimmung. Es spielte Musik und alle machten sich bereit, in ein Bildungssystem des 21. Jahrhunderts aufzubrechen.
Um die eigene Bildung selbst in die Hand zu nehmen, manifestierten alle Demoteilnehmenden ihre Visionen auf einer eigenen Schriftrolle.

Endlich ging es los! Kurz nach zwei startete die Black Pearl mit den drei Musikern von Actio Grenzgänger, Jarón, Mira und Courtier an Bord. Der Bildungsgang-Song gab den offiziellen Startschuss und die Menschenmasse setzte sich in Bewegung. Anschließend moderierten Malina, Milad und Tracy die Demo. Sie motivierten mit Slogans wie „wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“ und „stoppt die Massenschülerhaltung“ zum Mitgrölen, Joana Günther verstärkte die Botschaften noch mit Techno-Beats.
So zogen wir, eine Gruppe von über 500 Neudenkern, laut und fröhlich durch die Stuttgarter Innenstadt.
Neben bunt gekleideten Menschen und vielfältigen Transparenten hatten wir Kreativküken unter uns, die interessierte Passanten über den Bildungsgang informierten. Wir wollen „Keine Kreativkükenschredder“!
Ein weiteres Highlight des Tages war unser selbstgebastelter Sarg, gefüllt mit zerknüllten Papierseiten unserer alten Schulhefte. Als Symbol zur Beerdigung unseres veralteten Schulsystems wurde der Sarg von starken Menschen beim Demozug mitgetragen. Am Ende des Trauermarsches konnten wir uns feierlich von dem Bildungssystem der letzten Jahrhunderte verabschieden, voller Vorfreude auf unsere Zukunft blickend.

Um 15 Uhr startete unsere Abschlusskundgebung auf dem Schlossplatz.
Mit diversen Redebeiträgen haben wir hier auf die bereits bestehende Vielfalt im Bildungswesen aufmerksam gemacht, aufgelockert durch Musikbeiträge. Der absolute Höhepunkt war die Liveperformance des Bildungsgang-Songs.

Gegen Ende des Tages stellten wir im Club Schocken die Visionen unserer Initiative dar und kamen miteinander ins Gespräch.
Barfuß und in Anzug fanden Simon Marian Hoffmann und Benedikt Jeschke in ihrem Vortrag die richtigen Worte für das, was wir jungen Menschen uns von unserer Zukunft wünschen. Es war schön und unglaublich motivierend, gemeinsam nach den Sternen zu greifen und mögliche Wege in diese Richtung aufzuzeigen.

Zu den Medienberichten.

Es hat sich sogar das Kultusministerium Baden-Württemberg geäußert:
„Thesen, die Schule ausschließlich auf Leistung reduzieren oder gar mit Massentierhaltung vergleichen, sind abwegig und haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Auch wenn Noten und Leistung wichtig sind – da sie Orientierung geben und die Grundlage für eine zielgerichtete Förderung der Schüler sind – die Bildung an den Schulen hat weit mehr zu bieten.“

Anscheinend war schon länger niemand mehr aus dem Kultusministerium in der Schule.

In unserem Vortrag „Warum wir Bildung neu denken sollten“ haben wir aufgezeigt, warum das momentane Bildungssystem absolut veraltet ist:

Fast ein Jahr lang haben wir uns nun mit der Thematik „Bildung neu denken“ beschäftigt.
Am Anfang standen viele Ideen von einzelnen Personen. Nach und nach wurden wir ein Team und unsere Vorstellungen konkretisierten sich – das Projekt „Bildungsgang“ war geboren. Am Anfang haben wir uns vor allem über Skype ausgetauscht, was nicht immer einfach war. Umso schöner, als wir dann Mitte September fast alle in Stuttgart waren und endlich richtig loslegen konnten mit den Vorbereitungen für den Bildungsgang!
Die Projektzeit war ein ständiger Prozess und es ist unglaublich, wie viel jede*r einzelne von uns dabei gelernt hat!
Mit der Teamkommunikation und Koordination war es nicht immer einfach. Umso schöner war es dann wieder zu merken, wie einig wir uns sind in unseren Vorstellungen von einer Zukunft, in der wir gerne leben möchten. Dabei hat uns die Überzeugung, dass eine bessere Zukunft möglich ist, über alle Höhen und Tiefen hinweg getragen.
Auf unserem Weg sind uns so viele Menschen und Initiativen begegnet, die ein ähnliches Anliegen haben wie wir: Bildung muss neu gedacht werden!

An dieser Stelle möchten wir uns bei all denen bedanken, die uns nicht nur viel Erfolg mit unserem Projekt gewünscht, sondern uns finanziell und tatkräftig unterstützt haben! Wir sind davon überzeugt, dass wirklicher gesellschaftlicher Wandel nur dann vonstatten gehen kann, wenn wir uns ALLE zusammentun und gemeinsam an einem Strang ziehen.

Hier gibt es eine Auswahl an Bildern über das „Bildungsgang“ Projekt 2017.

Durch die „Bildungsgang“ – Bewegung wollten wir zeigen, wie wir Jugendliche uns gute Bildung die auf Eigeninitiative beruht, vorstellen. Weil man uns den finanziellen Rahmen, sowie das Vertrauen gab, konnten wir das gesamte Bildungsgang-Projekt allein umsetzen. Alle beteiligten Jugendlichen konnten sich einbringen wo und wie sie wollten und dabei das Projekt so gestalten, wie es ihnen vorschwebte. Jeder konnte eigene Mauern überwinden, neues lernen und einiges über sich und seinen zukünftigen Weg herausfinden. Die entstandene Energie war so ansteckend, sodass wir jetzt über 50 Jugendliche gewonnen haben, die mit uns das nächste Bildungsgang Projekt angehen wollen. Besonders ermutigend war die große Anzahl an jungen Menschen, die unseren Traum von freier, individueller und selbstbestimmter Bildung teilen.

Darum haben wir nicht nur die Demo am 11.11. organisiert, sondern über das ganze Wochenende ein Seminar veranstaltet, wo wir eine intensive Zeit mit ca. 40 jungen Menschen verbringen durften.

Wir haben unsere Bildung selbst in die Hand genommen und uns gegenseitig darin ermutigt, vertrauensvoll eigene Wege in die Zukunft zu gehen. Durch unsere Aktionen im Vorfeld haben wir eine breite Öffentlichkeit erreicht. Zum einen gab es die Kreidepartys in mehreren Süddeutschen Städten, an denen wir mit Kreide durch die Straßen gezogen sind und unsere Wünsche, Vorstellungen und Visionen verbreiteten. Zum andern sind wir mit tausenden Stickern, Flyern und Postkarten durch die Straßen gezogen, haben Infomaterial verteilt und haben hunderte Plakate aufgehängt. Wir haben zwei Vorträge selbst organisiert und gehalten, um unsere Beweggründe und Visionen aufzuzeigen. Wir haben eine eigene Medienpräsenz aufgebaut, mehrere Videos gedreht und Flugblätter in Universitäten verteilt. Wir haben den Bildungsgang-Song geschrieben, aufgenommen und ein Musikvideo, welches den Bildungsgang porträtiert, gedreht. Wir haben einen schiefen Turm von Pisa aus Schulmaterial gebaut, um ihn und die gefährliche Orientierung an den Pisa Studien zum Einsturz zu bringen. Zu guter letzt haben wir durch unsere Kunstperformance „Schulgefühle“ in der Öffentlichkeit dargestellt, wie wir uns in der Schule oft gefühlt haben und warum wir diese Gefühle dringend ändern müssen. Zu all diesen Aktionen kommen in den nächsten Wochen noch Videos, Making Ofs und Redebeiträge auf unseren YouTube Kanal.

Ohne die Unterstüztung von Euch, vielen Sympathisanten und den jugendlichen Aktivisten hätten wir die Aktionen rund um den „Bildungsgang“ nicht umsetzen können. Vielen Dank!

Lasst uns weiterhin zusammen den Sternen entgegenlaufen! Gemeinsam sind wir stärker und schneller und haben mehr Spaß dabei.