Bildung gemeinsam fragend denken – ein Experiment

„Wenn wir Fragen stellen, ist unser Geist involviert und dennoch offen. Der Prozess des Fragens schützt uns vor unserer Tendenz, statische Schlüsse zu ziehen. Stattdessen können wir Unsicherheit und Veränderung mit forschender Neugier und einer Ahnung von Wunder antworten.“ (Elizabeth Mattis Namgyel)

Es hat mich gleich gepackt, als ich die Einladung las: Einen Workshop zum Thema Bildung neu denken anbieten. Mit jungen Menschen, die das Ergebnis auch noch in die Tat umzusetzen wollen! Für einen Menschen, den der Zustand unseres Bildungssystems und die Suche nach gelingenden Vorbildern für einen Wandel so beschäftigt wie mich, war das wie Weihnachten und Lottogewinn zusammen.

Die Einladung fragte „Warum zögerst Du noch?“. Ich hatte keine Antwort darauf. Daher suchte ich unter den Studierenden der Cusanus Hochschule eine Mitstreiterin, der es ging wie mir: Carmen. Gemeinsam machten wir uns auf die Suche nach einem Weg, um all unsere Ideen und Gedanken in 90 Minuten zu drängen: Wir wollten „Fragen aufwerfen“, „auf die Erfahrungsebene gehen“ und die „großen Begriffe genauer ansehen“, lese ich in unseren Notizen. Es sollte vom „Abstrakten ins Konkrete“ gehen, vom zwischenmenschlichen („konativ“) und der Gefühlsebene („affektiv“) zum Gedanklichen („kognitiv“), Mit dem Ziel, die Teilnehmenden und Teilgebenden zu „ermächtigen, selbst zu denken, neu zu denken“. Da steht etwas von Wilhelm v. Humboldt und Herbert Marcuse, von Richard David Precht und Ken Robinson. Von „Zukunft“, von „positiver Vision“ und „idealen Lernbedingungen“.

Doch vor allem stehen da viele Fragezeichen. Je länger wir die Puzzleteile hin- und herschoben, je größer die Namen und Ziele wurden, desto deutlicher wurde uns, dass die Antwort nicht einfach da draußen liegt. Als müssten wir sie nur suchen und finden. Es geht vielmehr darum, dem auf die Schliche zu kommen, wie ein solches „neu denken“ aussehen könnte. Ein gemeinsames, fragendes Denken.

Vielleicht geht es auch darum, wieder Zuhören und präzise Fragen stellen zu lernen. Und mit der Offenheit dieser Fragen durch die Welt zu schreiten. Allzu schnell meinen wir zu wissen, wie die Antwort heißt und uns im Grunde darüber einig zu sein. Das fragende Denken fordert diese Annahme heraus. Es reagiert auf die Beobachtung, dass ein vermeintlich neues Denken allzu oft bloß eine Neuanordnung des Bestehenden ist. Und es geht davon aus, dass ein gemeinsames (neu) Denken sich spiralförmig, aufeinander bezogen entfaltet. Mit der Frage als gemeinsame Mitte, aus der die Spirale von Fragen, Ideen und vielleicht sogar Antworten erwächst.

Soweit die Theorie. Doch wie sieht das konkret aus? Das wollten wir im Bildungsatelier gleich zweimal gemeinsam mit einem dutzend kritischer Köpfe ausprobieren.

Ausgehend von der Frage „Was ist Bildung?“ entspann sich ein reges Gespräch, das wir nach 20 Minuten im Sinne des fragenden Denkens reflektierten. Wir waren erstaunt, was alles zutage tritt, wenn wir das „Wie“ des gemeinsamen Denkens und Sprechens in den Blick nehmen. War es ein gedankliches nebeneinander oder ein miteinander? Haben wir auf die gleiche Frage Bezug genommen? Sind wir einen Schritt weiter gekommen (sprich: hat sich eine spiralförmige Denkbewegung ergeben)? Haben wir Thesen formuliert („So könnte es sein“), Beschreibungen gegeben („So ist es“) oder unsere Idealvorstellungen geteilt („So sollte es sein“)? Wo waren Brüche, Sprünge, Knackpunkte?

Es war nicht das einzige, was in diesen 90 Minuten machten, doch im Rückblick war es das Herzstück. Mit diesen Fragen und den dazugehörigen Beobachtungen bekam der Workshop eine neue Ebene, eine andere Tiefe. Es zeigte, wie schwierig das Ideal eines gemeinsamen fragenden Denkens zu leben ist. Doch es zeigte auch, dass es möglich ist. Dass es uns möglich ist. Das ist ermutigend und inspirierend für das, was kommt. Was kommen soll. Vielen Dank daher für diese Erfahrung.
Ich freue mich darauf, den Faden bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen.

Alexander Repenning,
Student im Master „Ökonomie und Gesellschaftsgestaltung“ der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues und Vorstand in der Cusanus Studierendengemeinschaft e.V.